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Auswanderer auf Spurensuche

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts verließen 87 Ottersheimer Einwohner dem Ruf der russischen Kaiserin Katharina folgend ihre pfälzische Heimat, um sich in Südrußland a m Schwarzen Meer niederzulassen.

Bereits im 18. Jahrhundert hatten die ersten Ottersheimer Auswanderer die beschwerliche Reise nach Amerika unternommen. Der eigentliche Höhepunkt dieser Auswandererzeit liegt jedoch ebenfalls im 19. Jahrhundert. Letztlich waren es 321 Männer, Frauen und Kinder aus Ottersheim, die ihr Glück im fernen Nordamerika suchten. Als letzter dieser Auswandererwelle wird im ersten Heimatbuch der im Jahr 1929 ausgewanderte Ernst Jochim erwähnt.

Im Jahr 1952 entschlossen sich die Eheleute Rudolf und Martha Müller, nach Australien auszuwandern. Sie stehen noch in enger Verbindung zu ihren Ottersheimer Verwandten. Bei einem Besuch im Jahre 1972 stellte das Ehepaar Müller fest, daß sich Deutschland in den zwanzig Jahren ihrer Abwesenheit unvorstellbar verändert hat. Mit vielen Eindrücken und Erlebnissen kehrten sie nach drei Monaten in ihre neue australische Heimat zurück.

Als im Jahre 1983 der 300jährigen Wiederkehr der ersten Auswanderer nach Nordamerika gedacht wurde, machten es vorhandene Unterlagen möglich, einigen Besuchern aus den Vereinigten Staaten bei der Familienforschung behilflich zu sein. Immerhin hatten sich in der Zwischenzeit im Land der unbegrenzten Möglichkeiten solche Erkundungen zu einem verbreiteten Hobby entwickelt. In Ottersheim kam es 1983 zu vier Begegnungen mit USA-Touristen, die nach Spuren ihrer ausgewanderten Vorfahren suchten. Dabei erwies sich das vorhandene Verzeichnis als wertvolle Hilfe.

Emil Bierkle, ein amerikanischer Brauereidirektor aus Howellr, fand auf diese Weise die Ottersheimer Verwandten seiner Frau Marion, deren Großmutter 1865 als Eva Störtzer ausgewandert war. Er selbst war 1925 aus Abenteurerlust in die USA gekommen, wo er, ohne es zunächst zu wissen, eine Frau deutscher Abstammung heiratete. Nach mehrmaligem Besuch seiner ehemaligen Freiburger Heimat waren er und seine Gattin froh, nun auch die pfälzische Heimat ihrer Großmutter zu kennen.

Der Pilot Kennth Mann aus dem amerikanischen Chesterfield fand Namen und Daten seiner Ottersheimer Vorfahren in der Person des Schuhmachers Sebastian Job, der im Jahre 1837 mit seiner Frau und zwei Kindern ausgewandert war.

Frauenarzt George W Danz aus Wyandotte ist ein Nachkomme des 1853 ausgewanderten Anton Merdian, dessen Tochter als verwitwete Föhlinger -

sie war die Urgroßmutter von G. Danz - mit ihrem Vater nach Amerika gegangen war. Für ihn war der kurze Aufenthalt in Ottersheim der Höhepunkt seiner Deutschlandreise.

Schwierig war die Suche nach ihren Vorfahren für Carolin Gerhard aus Flint. Schließlich stellte sich heraus, daß es Johann Philipp Job war, der im Jahre 1809 mit seiner Familie nach Südrußland auswanderte und von dort irgendwann nach Amerika übersiedelte.

Kontakt mit Verwandten in Ottersheim - besonders mit Emilie Föhlinger pflegen nach wie vor die Nachfahren der von 1902 bis 1909 ausgewanderten Geschwister Katharina, Anna, Lisa und Rosa Föhlinger. George Krablin, Sohn der ausgewanderten Rosa, war für ein Jahr Professor an der Universität in Frankfurt. Er stattete außerdem schon mehrfach seinen Ottersheimer Verwandten seinen Besuch ab, ebenso seine Enkelin.

Auf Initiative der deutschen "Moocks" fand 1989 in Ottersheim ein Treffen mit den amerikanischen Verwandten des 1903 ausgewanderten Peter Moock statt, der als 15jähriger die immer noch beschwerliche Reise auf sich nahm, um im "Land der unbegrenzten Möglichkeiten" sein Glück zu suchen. In Lincoln im Staate Nebraska heiratete er Bonnie. Ihre Schwiegertochter Harriet und weitere Verwandten fanden sich nun im Jahre 1989 zum MoockFamilientreffen ein, das im Ottersheimer Bürgerhaus rund 70 Personen zusammenführte.

Wie Markus Hilsendegen (Ottersheim) zu berichten weiß, hatte sein Cousin Hubert Hilsendegen in unermüdlicher Fleißarbeit den Stammbaum seiner Familie bis ins Jahr 1757 zurückverfolgt und dabei festgestellt, daß sämtliche Kontakte zu den Auswanderern nach Amerika und Rußland abgebrochen waren. Einer dieser Auswanderer war Georg Adam Hülsendegen, der 1792 in Ottersheim geboren wurde und 1891 in Baden, Kutschurgan (Ukraine) gestorben ist. Als dann im Jahre 1991 ein kanadischer Priester mit Pfarrer Fuhrmann die Messe zelebrierte, gab er zu bemerken, daß er von der Familie Hilsendegen in Ottersheim abstamme und seine Verwandten kennen lernen möchte. Bei diesen fand dieses Vorhaben große Begeisterung und alsbald konnten Ralph Schuster und sein Bruder Ray mit Frau Marlene über die Vergangenheit ihrer Familie berichten. Nach ihren Erkundungen wurden für di im 19. Jahrhundert nach Rußland gerufenen deutschen Auswanderer die Bedingungen immer unerträglicher, so daß mehrere Nachkommen von Georg Adam in die freiheitlichen USA auswanderten. Wie sich später herausstellte, taten sie gut daran, denn viele der Zurückgebliebenen erfuhren während der russsichen Revolution ein bitteres Los. Nicht wenige starben nach ihrer Verschleppung ins ferne Sibirien. In den USA siedelten sich die eingewanderten Familienmitglieder fast ausnahmslos in Portland/Oregon an.

 

 

Später verteilten sie sich über die USA und Kanada und änderten im Rahmen der Zwangsamerikanisierung während des Ersten Weltkrieges ihren Familiennamen in "Hilsendeger" um. In der Zwischenzeit hat sich aus dem Kontakt mit der Familie Schuster ein reger Briefaustausch entwickelt. George Hill, ein engagierter Sproß der Familie, stellte den Stammbaum der Hilsendegens ins lnternet. Er zeigt neben dem deutschen Zweig auch die russisch/amerikanische Entwicklung der Familie Hilsendegen.

Im Jahre 1997 kam der Kontakt mit weiteren Nachkommen der im Jahre 1809 nach Rußland ausgewanderten Ottersheimer zustande. Die in Gaildorf bei Schwäbisch Hall wohnenden Aussiedler und Nachkommen der ausgewanderten Familie Franck konnten erst nach intensiven Bemühungen in Ottersheim den Ort ihrer Vorfahren entdecken. In der Kirche brachte ihnen die Totentafel der Weltkriege eine erste Bestätigung, ebenso das Verzeichnis im Heimatbuch der Gemeinde. Letztlich war es der "Odderschemer Dialekt", der sich in Rußland über die lange Zeit erhalten hatte und nun mithalf, die heimatliche Stätte der Urahnen zu finden. Mit der Familie Ludwig Steegmüller und Cilla Kröper wurde weiterer Kontakt aufgenommen. In einem Brief, mit dem Katharina Frank den Besuch eines interessierten Personenkreises ankündigte, schreibt sie: "Es ist peinlich, wenn man nicht weiß, wo man herkommt. Die Älteren haben manchmal gesagt, wir stammen aus dem Elsaß. Ich habe mir mit dieser Frage vielmals den Kopf zerbrochen - wieso? jetzt weiß ich es. Ottersheim liegt fast an der Grenze zum Elsaß und das Elsaß gehörte einmal zu Deutschland, später wieder zu Frankreich."

Am Kerwesonntag 1997 war es soweit. Nach dem Gottesdienst fanden sich die rund 50 Gäste im Bürgerhaus ein, wo ein Empfang und Zusammentreffen mit einheimischen Bürgern stattfand. Von den Auswanderer-Nachkommen meinte der 66jährige Franz Kaiser: " Im März 1944 forderten uns die deutschen Besatzer auf, das russische Dorf Franzfeld zu verlassen. Als Jugendlicher war ich bei der Flucht nach Polen dabei. Später kamen wir nach Deutschland. 1982 besuchte ich nochmals den Ort meiner Kindheit. Nun freut es mich, in fünfter Generation auch den Ort meiner ausgewanderten Vorfahren kennengelernt zu haben. Über die freundliche Aufnahme haben wir uns sehr gefreut." Am Nachmittag fand noch ein Spaziergang durch die Ottersheimer Ortsstraßen statt, bei dem nach Möglichkeit auf die Häuser der damaligen Auswanderer hingewiesen wurde.